Mit funktionierenden Medien würde Land, Bürgern und Gesellschaft viel erspart bleiben.
Die folgenden Zeilen habe ich 2019 für das Buch Sabotierte Wirklichkeit – Oder: Wenn Journalismus zur Glaubenslehre wird verfasst. Schon damals befand sich das journalistische Feld in einer schweren Schieflage. Dann kam die Corona-Krise, der Ukraine-Krieg usw. und ein Weltbildjournalismus, der ohnehin die Realität bis zur Unkenntlichkeit verzerrte, hat sich in einen mit der Realität völlig brechenden Zombiejournalismus verwandelt. Die Schäden an der Demokratie, ja: die Schäden für Land, Bürger und Gesellschaft, die durch einen Journalismus, der jeden Tag seine eigenen Werte verrät, entstanden sind, können nicht mehr gut gemacht werden. Der folgende Text, der ein Auszug aus der Einleitung des Buches ist, soll noch einmal verdeutlichen: Die für eine Demokratie hochgradig dysfunktionalen Funkionsweisen weiter Teile der Medien sind sichtbar, die Ursachen sind bekannt.
Die Wachhunde der Demokratie sind zu den Lordsiegelbewahrern unserer Zeit mutiert. Ein Journalismus ist entstanden, der sich wie ein Schutzmantel um die politischen Weichensteller legt. Medien haben den von ihnen erzeugten legitimen öffentlichen Diskursraum soweit verkleinert, dass Stimmen, die sich darin im Sinne einer kritischen Öffentlichkeit zu Wort melden wollen, faktisch nahezu ausgeschaltet sind. Die mentale Korruptheit, die das journalistische Feld durchzieht, stellt eine Gefahr für die Demokratie dar. Eine Berichterstattung erfolgt, die vorgibt zu sagen, was ist, aber dabei unaufhörlich sagt, was sein soll. Ein Journalismus ist entstanden, der die gesellschaftliche und politische Wirklichkeit je nach Notwendigkeit ignoriert, frisiert, verdreht und mitunter gar einfach selbst erfindet. Medien missbrauchen ihre publizistische Macht, um die von ihnen erzeugte ›richtige‹ Sicht auf die Wirklichkeit vor Irritationen von außen zu schützen. Medien sorgen dafür, dass politische und soziale Realität nicht Teil eines offenen diskursiven Prozesses sind. Stattdessen definieren sie und eine überschaubare Anzahl von ihnen zugewandten Experten Wirklichkeit – die sie dann gemeinsam mit den Entscheidern der Politik als unverhandelbar deklarieren. Für die Kraft von Argumenten, für ausgangsoffene Diskussionen, bietet dieser Journalismus keinen Platz. Die wertvollen Prinzipien der journalistischen Auswahl und Gewichtung von Informationen werden nach Belieben außer Kraft gesetzt und den dominierenden Weltbildern angepasst. Ein Weltbildjournalismus bestimmt in weiten Teilen der Mainstreammedien die Berichterstattung. Zwischen Journalisten und Politikern herrscht weitestgehend ein Nichtangriffspakt – Konflikte, die über ein Scharmützel hinausgehen, finden sich allenfalls auf Nebenschauplätzen. Medien loben wahlweise Merkels »Augenringe des Vertrauens« oder stimmen (gemeinsam mit einem Teil der Politiker) in den Chor des ›Uns-geht-es-doch-gut-Liedes‹ ein. Viele Medien haben sich jeder Fundamentalkritik verschlossen. Insbesondere so manche Leitmedien haben eine Demarkationslinie gezogen, um sich von einem Teil ihrer Rezipienten, die Kritik an dem gebotenen Journalismus üben, abzugrenzen. Die Kritik von außen, also von denjenigen, die Realität anders wahrnehmen und die gesellschaftlichen und politischen Ereignisse anders deuten, als die Medien, wird als ein Angriff, als eine Bedrohung aufgefasst. Wenn die Meinungsführer im Journalismus mit den Missständen konfrontiert werden, bedienen sie sich gerne ehrenwerter Größen, die als Legitimationsstrategien zur Durchsetzung ihres Journalismus zu identifizieren sind und zugleich implizit sehr viel von ihrem immer wieder beanspruchten Deutungsmonopol erkennen lassen. Medien führen die ›Wahrheit‹ ins Feld, der sie unaufhörlich vorgeben zu dienen und verknüpfen diesen edlen Anspruch mit einer scheinbaren Fürsorge gegenüber den Mediennutzern, die man bekanntlich vor ›Fake News‹ beschützen und aus der ›Filterblase‹ befreien muss. So versuchen sie unter anderem, die Besitzansprüche auf das Weltdeutungsmonopol zu legitimieren und zu untermauern. Ein Rezipient, der das nicht akzeptiert, wird von den Medien nicht respektiert. Der Mediennutzer wurde über lange Zeit als Statist wahrgenommen, der sich gefälligst mit der Rolle, die das Mediensystem ihm zuschreibt, abzufinden hat. Er darf die Medien reichlich nutzen, er darf ihren Journalismus gerne loben, er darf sicherlich auch Kritik üben, etwa in Form eines Leserbriefs, aber er hat gefälligst zu akzeptieren, dass er nicht das letzte Wort hat. Über viele Jahre haben Medien geradezu mit Nachdruck jede Grundsatzkritik an der Berichterstattung ignoriert. Jede grundsätzliche Bemängelung an den Auslese- und Bewertungskriterien der Redaktionen werden sogar als schwerer und völlig ungerechtfertigter Angriff betrachtet. Wenn das Publikum Medienvertreter auf die schweren Bruchstellen und Schieflagen in der Berichterstattung hinweist, dann sind ›Fehler‹ (und das nur unter Zähneknirschen) das Maximale, was Medien eingestehen. Fehler, so lautet der Tenor, unterliefen bedauerlicherweise nun einmal auch den Qualitätsmedien. Allerdings sei man sehr bemüht darum, Fehler grundsätzlich zu vermeiden. (…) Einem Mantra gleich wiederholen Vertreter von Leitmedien, dass sich der Leser, der Zuschauer mit seiner Kritik an ihnen irrt, dass die eigenen Analysen die richtigen sind, dass der Leser, wenn er um ein breites Meinungsspektrum geradezu bettelt, sich täuscht und nicht erkennt, dass es doch eine ›Vielfalt‹ an Meinungen in dem jeweiligen Medium gibt. Ein Verhalten wird sichtbar, das längst jeden Betrieb, jedes Geschäft, das im Servicebereich angesiedelt ist, in den Ruin getrieben hätte.
Man stelle sich folgende Situation vor: Chefredakteur X geht mit Redaktionsleiter Y in ein Restaurant. Die beiden bestellen sich Steak, Bratkartoffel und einen Salat. Schnell stellen beide fest: Das Steak ist zäh und trocken, die Bratkartoffeln sind viel zu fettig und der Salat ist voller Essig. Was wäre, wenn auf die Beschwerde beim Kellner, der Kellner den Chefkoch, der Chefkoch den Restaurantbesitzer und der Restaurantbesitzer den Rest der Mannschaft zusammenrufen würden und dann alle, quasi im Chor, erklärten: Das Steak ist nicht zäh, die Bratkartoffeln sind die besten, die man sich als Gast wünschen kann und das, was als zu viel Essig wahrgenommen wird, ist in Wirklichkeit ein preisgekröntes Salatdressing, das im Übrigen allen anderen Gästen im Restaurant schmeckt. Der Chefkoch empfiehlt zudem, den sich beschwerenden Gästen, noch einmal in sich zu gehen und nachzudenken, ob die eigene Beurteilung des Gerichtes nicht doch auch völlig falsch sein könnte und gibt den Ratschlag, sich demnächst einmal ein Buch über gute Küche zu besorgen, so dass man ein Verständnis für die vorzügliche Speise, die hier serviert wurde, bekommt. In solch einem Falle würden Chefredakteur X und Redaktionsleiter Y aufstehen und mit ziemlicher Sicherheit nie mehr in dieses Restaurant gehen – und zwar zu Recht.
Dieses Beispiel ist nicht weit von der Realität entfernt. Wir haben es mit einer Berichterstattung zu tun, die von einem schier unerschütterlichen Glauben getragen ist, die einzig wahre Einschätzung der Weltereignisse zu liefern. Journalismus, so gilt es festzustellen, scheint, zumindest in den Zentren der diskursbestimmenden Medien, zu einer Glaubenslehre geworden zu sein. Im Zentrum dieses Glaubens steht aber nicht ein Gott, sondern eine alles überragende Intelligenz, über die die Anhänger dieses Glaubenssystems selbst verfügen – zumindest ist das ihre Überzeugung. Die Apologeten gehen davon aus, dass sie selbst dank einer gegenüber dem ›normalen Bürger‹ überlegenen Fähigkeit, soziale und politische Realität zu erfassen, einzuordnen, zu Analysieren und zu erklären, im Besitz der reinen Wahrheit sind. Doch warum unterscheiden sich die Weltanschauungen innerhalb des journalistischen Feldes so oft von den Weltanschauungen vieler Bürger? Wie kommt es, dass die großen Medien oft in nahezu geschlossener Formation bestimmte gesellschaftliche und politische Sachverhalte einheitlich wahrnehmen, während Teile der Mediennutzer eine andere Realität erkennen? Warum reagieren gerade leitende Akteure aus dem journalistischen Feld so emotional auf die Kritik an ihrer Arbeit? Warum gelingt es den kritisierten Medien nicht, die Kritik an ihrer Arbeit anzunehmen und sie konstruktiv in ihrem, aber auch im Sinne der Mediennutzer und vor allem: der Demokratie, zu verarbeiten? Mit diesen Fragen und Ausführungen ist der Rahmen für dieses Buch gesetzt. Wir werden im Folgenden die Medien genauer betrachten, um einige zentrale Schwachstellen, die im journalistischen Feld auszumachen sind, kenntlich zu machen. Zuerst wird es darum gehen, zu erkennen, dass Zensur in unserem Mediensystem nicht die Ausnahme, sondern die Regel ist. Wir werden eine spezielle Form der Zensur kennenlernen, die sich zwar in manchem von einer staatlichen, einer von oben verordneten politischen Zensur unterscheidet, aber ihr in ihrer Auswirkung kaum nachsteht. Es handelt sich dabei um eine Zensur, die Tief in unser Mediensystem eingeschrieben ist. In den Medien ist das zu erkennen, was wir als eine sozialstrukturell ausgeformte Zensur sprachlich erfassen wollen. Um ihr beizukommen, gilt es zu verstehen, welche sozialen Kräfte innerhalb des journalistischen Feldes wirken und warum sie wirken, wie sie wirken. (…)


